In der operativen Ermittlungsarbeit gibt es einen Fehler, der leise passiert – aber laut wirkt: Mit der falschen Brille auf einen Fall zu schauen.
Nicht, weil jemand „unprofessionell“ wäre. Sondern weil unser Gehirn Abkürzungen liebt.
Und genau diese Abkürzungen sind gefährlich.
Denn sobald Mindset, Vorurteile oder eine vorschnelle Theorie die Wahrnehmung steuern, passiert etwas, das ich in Ermittlungen immer wieder sehe:
Wir hören nicht mehr neutral zu. Wir schauen nicht mehr objektiv hin. Wir finden plötzlich vor allem das, was wir ohnehin erwartet haben.
Das ist der Moment, in dem aus Ermittlern unbewusst Bestätiger der eigenen Hypothese werden.
Und: In Unternehmen läuft es genauso.
Was bedeutet „die falsche Brille“ konkret?
Die „falsche Brille“ ist kein technisches Problem – es ist ein Denkproblem.
Typische Auslöser:
- Festgefahrenes Mindset: „Ich weiß schon, wie das hier läuft.“
- Vorurteile & Schubladen: „Der/die war schon immer schwierig.“
- Bestätigungsfehler (Confirmation Bias): Wir suchen Belege für unsere Meinung – nicht gegen sie.
- Emotionale Vorentscheidung:Â Sympathie, Antipathie, Druck, Angst vor Gesichtsverlust.
- Zeitdruck: Schnelle Antworten wirken produktiv – sind aber oft teuer.
In der Praxis fĂĽhrt das dazu, dass Aussagen, Verhalten oder Daten nicht mehr neutral bewertet, sondern passend gemacht werden: passend zur Story, die wir im Kopf schon geschrieben haben.
Die typischen Folgen in Ermittlungen: leise Fehler, harte Konsequenzen
Wenn die Brille falsch ist, passieren immer ähnliche Dinge:
- Spuren werden übersehen, weil sie nicht „passen“.
- Indizien werden falsch gewichtet, weil man sie in die Theorie hineininterpretiert.
- Zeugenaussagen werden selektiv bewertet: Das eine wird „wichtig“, das andere „unzuverlässig“ – je nachdem, was gerade hilfreich ist.
- Personen werden vorschnell etikettiert („Tätertyp“, „unauffällig“, „nicht relevant“).
- Alternativhypothesen sterben früh, obwohl sie die bessere Erklärung wären.
Das Ergebnis:
❌ falsche Schlussfolgerungen
❌ unnötige Eskalation
❌ verpasste Beweise
❌ höhere Kosten und längere Verfahren
❌ im schlimmsten Fall: falsche Beschuldigungen oder falsche Entscheidungen
Und jetzt der Transfer: Warum Unternehmen in dieselbe Falle laufen
Was in Ermittlungen gefährlich ist, ist in der Wirtschaft nicht weniger riskant – nur nennt man es dort anders:
- „Bauchgefühl“ statt Datenlage
- „Erfahrung“ statt Faktenprüfung
- „Das war schon immer so“ statt Risikomanagement
- „Der passt nicht ins Team“ statt sauberer Leistungsbewertung
Typische Beispiele aus der Praxis:
1) FĂĽhrung bewertet nach Sympathie statt Leistung
Wer sympathisch ist, bekommt Vertrauen – wer kritisch ist, bekommt Misstrauen.
Das Problem: Sympathie ist kein KPI. Und Misstrauen ist kein Beweis.
2) Projekte werden gestoppt, weil ein Entscheider „kein gutes Gefühl“ hat
Manchmal ist Intuition wertvoll – aber nur, wenn sie gegen Daten geprüft wird.
Sonst wird Intuition zur Ausrede.
3) Risiken werden ignoriert, weil „das bei uns noch nie passiert ist“
Das ist einer der teuersten Sätze in Compliance und Security.
Wirtschaftskriminalität lebt von Routinen, Gewohnheiten und blinden Flecken.
Die Denkfehler dahinter (kurz & praxisnah)
Ein paar kognitive Verzerrungen, die Ermittlungen und Unternehmen regelmäßig sabotieren:
- Confirmation Bias: Wir suchen Bestätigung, nicht Wahrheit.
- Ankereffekt:Â Die erste Info (erste Zahl, erste Vermutung) bleibt kleben.
- Halo-Effekt: „Kompetent im Auftreten“ wird zu „kompetent im Handeln“.
- Gruppendenken:Â Niemand widerspricht, weil Harmonie wichtiger ist als Klarheit.
- Sunk-Cost-Fallacy:Â Man investiert weiter, weil man schon so viel investiert hat.
- Verfügbarkeitsheuristik: Das, was wir kürzlich erlebt haben, wirkt „wahrscheinlicher“ als es ist.
Diese Effekte sind menschlich. Professionell wird es erst, wenn man Methoden installiert, die Menschlichkeit ausgleichen.
Professionelle Ermittlungsarbeit heißt: Hypothesen prüfen – nicht verteidigen
Saubere Ermittlungsarbeit erkennt man nicht daran, wie schnell jemand „eine Theorie“ hat, sondern daran, wie konsequent er sie angreift.
Prinzipien, die in Ermittlungen funktionieren – und in der Wirtschaft genauso:
- Hypothesen prüfen – nicht verteidigen
- Daten vor Meinung
- Fakten vor Vorurteil
- Gegenbeweise aktiv suchen
- bereit sein, das eigene Bild zu korrigieren
Die Qualität einer Entscheidung zeigt sich nicht im Selbstvertrauen des Entscheiders – sondern in der Sauberkeit der Betrachtung.
Eine Checkliste: So wechseln Sie bewusst die Brille
1) Formulieren Sie mindestens 3 Hypothesen
Nicht: „Er war es.“
Sondern:
- Hypothese A: …
- Hypothese B: …
- Hypothese C: …
Alle mĂĽssen prĂĽfbar sein.
2) Definieren Sie „Was würde mich widerlegen?“
Das ist der stärkste Satz in Analyse und Führung:
„Welche Information würde meine Annahme zerstören?“
3) Trennen Sie Beobachtung und Interpretation
- Beobachtung: „Mitarbeiter X hat Zugriff auf System Y genutzt.“
- Interpretation: „Er wollte Daten abziehen.“
Erst prĂĽfen, dann deuten.
4) Arbeiten Sie mit einem „Red Team“-Gedanken
Lassen Sie bewusst jemanden die Gegenposition einnehmen:
- Wo sind LĂĽcken?
- Welche Alternativerklärung ist plausibel?
- Welche Info fehlt?
5) Nutzen Sie klare Kriterien statt BauchgefĂĽhl
Egal ob Personalentscheidung, Projektstopp oder Fraud-Verdacht:
Setzen Sie Kriterien, Schwellenwerte und Dokumentation. So wird Entscheidung reproduzierbar – und verteidigungsfähig.
Warum das für Wirtschaftskriminalität besonders relevant ist
Wirtschaftskriminalität passiert selten „mit Ansage“. Sie passiert dort, wo:
- Kontrollen als Misstrauen gelten
- Hinweise bagatellisiert werden
- FĂĽhrung lieber Ruhe als Klarheit will
- Warnsignale nicht ins Weltbild passen
Die falsche Brille sorgt dann dafĂĽr, dass Organisationen zwei Fehler machen:
- Echte Risiken werden übersehen („Das ist bestimmt nur ein Missverständnis.“)
- Unschuldige werden vorschnell verdächtigt („Der ist komisch, der war’s.“)
Beides ist geschäftsschädigend.
Das Entscheidende am Schluss
Am Ende gilt in Ermittlungen wie in Unternehmen:
➡️ Nicht die lauteste Meinung bringt uns zur Wahrheit – sondern die sauberste Betrachtung.
Wer bessere Entscheidungen treffen will, sollte wie ein guter Ermittler denken:
- bewusst die eigene Brille hinterfragen
- Gegenpositionen zulassen
- konsequent an Fakten orientieren
- bereit sein, die eigene Meinung zu revidieren
Das ist kein Zeichen von Unsicherheit.
Das ist professionelle Stärke.
Kontaktieren Sie uns jetzt !
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen, Ihrer Kanzlei oder Ihrer Organisation bessere, faktenbasierte Entscheidungen etablieren wollen – insbesondere bei Verdachtsfällen, internen Konflikten oder Compliance- Risiken – unterstütze ich Sie mit kriminalistischer Methodik, strukturierter Analyse und gerichtsverwertbarer Dokumentation.
👉 Kontaktieren Sie uns (Detektei Detegere) für:
- Aufklärung von Verdachtsfällen (Fraud, Untreue, Datenabfluss)
- OSINT & digitale Spurensuche
- Entscheidungs- & Risikoworkshops für Führungskräfte (Leadership trifft Kriminalistik)



